Zunächst schwirrten ein nur ein paar vereinzelte Fruchtfliegen durch die Höhle des Bären und er schaffte es, sie zu ignorieren. Doch in ein oder zwei angestoßenen Äpfeln auf dem Obstteller, auf etlichen Bananenschalen im überquellenden Mülleimer und in seinem ungespülten Breitopf zeugten diese hunderte von Nachkommen, welche jeweils selbst eine ganze Fruchtfliegen-Dynastie gründeten.
Als jeder Schritt des Bären von schwirrenden Schwärmen winziger Insekten begleitet war und alles Essbare in seiner Höhle nach Essig schmeckte, entschloss er sich zum Handeln. „Die Fruchtfliegen müssen weg, alle!”, dachte er bei sich und begann die Fliegen totzuschlagen. Er schlug nach den Fliegen auf dem Obstteller, er trampelte auf den dicht mit Fruchtfliegen bedeckten Bananenschalen herum, und mit dem Löffel zerdrückte er die Fliegenlarven im Breitopf. Nach zehn Minuten hatte aber schon der Nachwuchs eines auf einigen Honigwaben siedelnden Fruchtfliegenreiches den Verlust ausgeglichen.
So ersann der Bär wirkungsvollere Bekämpfungsmethoden: Mit einer Fliegenklatschen erledigte er nicht sieben, sondern gleich zwanzig der auf einem Marmeladenbrot rastenden Plagegeister auf einen Streich und mit einem Schmetterlingsnetz fing er einen Schwarm von hunderten Drosophila und zerdrückte sie in seiner Tatze. Wild mit dem Netz fuchtelnd riss er dabei die Deckenlampe ab und einige Kompottgläser zerschellten am Boden.
Die Jagt ermüdete ihn. „Uaaaaah,” gähnte er, „ich werde morgen die restlichen Fruchtfliegen erledigen.”, und er legte sich zu Bett. Während der Nacht legten die verbliebenen Fruchtfliegenweibchen Eier auf den am Boden verteilten Kompott, und auch die verspritzten Marmeladenreste nutzten sie als Brutstätte. Als der Bär am nächsten morgen aufwachte hatte sich die Fruchtfliegenpopulation mehr als erholt.
So beschloss der Bär, Schädlingsbekämpfungsmittel einzusetzen. Die Fliegen fielen sofort tot auf den Boden, sobald sie mit dem giftigen Sprühnebel in Berührung kamen, und nach kurzer Zeit war der Höhlenboden mit einer Schicht lebloser Insekten bedeckt. Die schwirrenden Schwärme waren verschwunden und der Bär feierte seinen leichten Sieg mit exzessivem Alkoholgenuss.
Am folgenden Morgen wachte er mit starken Kopfschmerzen auf, und seine Laune fiel ins Bodenlose, als er etliche Fruchtfliegen um seinen Kopf kreisen sah. Fluchend griff er zur Sprühflasche, doch das Insektizid hatte keine Wirkung mehr auf die kleinen Plagegeister: Einige wenige resistente Exemplare hatten überlebt und sich über Nacht auf einer hinter den Küchenschrank gerutschten Gurke vermehrt. Stattdessen bekam der Bär einen Erstickungsanfall; er hätte die Gebrauchsanweisung des Präparats sorgfältiger lesen sollen: „Sprühnebel nicht einatmen, behandelte Räume sind frühestens nach einer Woche wieder bewohnbar. Kann bei wiederholter Aufnahme sensibilisierend wirken. Alkohol verstärkt die Giftwirkung für Bären. Nicht dauerhaft wirksam gegen Fruchtfliegen (schnelle Resistenzentwicklung).”
In seiner Verzweiflung beschloss der Bär, seine Höhle mit Feuer zu läutern. An der nächsten Tankstelle kaufte er sich zwei Kanister Benzin und eine Schachtel Streichhölzer, die merkwürdigen Blicke des Tankwarts ignorierend.
Als der Bär begann, das Benzin in seiner Höhle zu verschütten, kam zufällig der Fuchs vorbei. „Was treibst du da?” fragte er erstaunt. „Ich erledige die Fruchtfliegen, ein für allemal!” erwiderte der Bär. Dem Fuchs fiel das Chaos in der Bärenhöhle auf, und er beschloss, aus der misslichen Lage des Bären Profit zu schlagen. „Ich wette, dass ich in zwei Stunden alle Fruchtfliegen aus deiner Höhle entfernen kann, ohne diese zu verbrennen oder sonst zu beschädigen.” Der Bär überlegte nicht lange, dachte an seine erfolglosen Bekämpfungsversuche und erwiderte: „Wenn du das schaffst, so darfst du dir für ein Jahr von meiner Jagdbeute die besten Stücke aussuchen. Wenn du es aber nicht schaffst, so sollst du für ein Jahr jeden Tag mein Geschirr spülen.” „Abgemacht!” rief der Fuchs.
Der Fuchs räumte zunächst das beschädigte Mobiliar aus der Bärenhöhle, warf dann alles verrottete Obst auf den Komposthaufen, spülte das Geschirr, kippte den gärenden Saft in den Ausguss, leerte den Mülleimer, warf die verdorbenen Honigwaben weg und wischte den Fußboden. Die Bärenhöhle glänzte wie schon seit Jahren nicht mehr, und die Fruchtfliegen machten sich auf die Suche nach neuen Brutplätzen und verließen die Höhle. Das letzte versprengte Exemplar scheuchte der Fuchs pünktlich nach zwei Stunden aus der Tür. Der Bär musste seine Niederlage in der Wette eingestehen. „Wenigstens bin ich die Fruchtfliegen los,” dachte er erleichtert, „das soll mir die Sache wert sein.”
Der Fuchs hängte sich wenig später ein dickes goldenes Schild mit der Aufschrift „Senior Consultant” an den Eingang seines Baus und hatte für ein Jahr ein leichtes Leben. Die Freude des Bären währte aber nur kurz, denn als er seinen Kühlschrank öffnete, sah er eine kinderreiche Kakerlakenfamilie, die seinen abgelaufenen Käse als Mittagstisch verzehrte.
© 2007 Dieter Weber
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